Schießen, schnippeln, schlemmen

Wieder wild auf Wild?

Hüben diverse gerne kochende Männer in der Runde am Jägerstammtisch, drüben kaum / kein Wild mehr auf den Speisenkarten der (Land-)Gastronomie. Dereinst Essen aus der Mikrowelle, heute wieder häufiger Selbstgemachtes aus der Region. Unser Autor Peter Burkhardt, selber begeisterter Hobbykoch, zeigt Rück- und Ausblicke in Sachen Esskultur – und hofft auf mehr Wildbret-Interessenten in der Zukunft. 

Lang Ist's her: Nachdem ich aus der Schule zurück war, dauerte es keine fünf Minuten, bis sich bereits in der Küche die Mikrowelle mit einem hell tönenden „Bling“ meldete. Begeistert nahm meine Mutter eine Plastikschale aus dem Gerät, stellte diese auf den Tisch und zog die Folie ab. Hüben Püree und Rotkohl, drüben Schweinegulasch – Essen fertig! Ob Haushaltsgerät, Küchentool oder Fertiggericht – die Werbung verkündete die Befreiung vom aufwendigen Kochen müssen, es war von „mehr Zeit für sich und die Kinder“ die Rede, Tennis statt Tisch decken, 
Convenience war das Zauberwort der modernen Küche. Ganze Produktlinien entstanden, Marketing- und Produktmanager jubilierten, ein neuer Markt war geboren. Wer immer noch lange in der Küche stand, um Essen zuzubereiten, zählte unterschwellig zu den Verlierern, selber schuld.

Zeitsprung, Szenenwechsel: Acht Erwachsene sitzen in diesem Frühjahr an langer Tafel, haben zusammengetragen, was Jagdrevier und Hausgärten hergaben und gemeinsam gekocht. Darunter auch Vegetarierin Tina. Auch als Nicht-Fleisch-Esserin ist sie stets der Meinung, wenigstens einmal probieren zu müssen. „Fleisch ist und bleibt nicht mein Ding“, aber getestet werden kann und darf, nicht nur um mitreden zu können, sondern Qualität wird ehrlich anerkannt, auch wenn das jeweilige Lebensmittel nicht in das eigene Ernährungsspektrum passt.

Daher verwundert es nicht, dass auch Tina sich eine kleine Gabel vom Pulled Pork angelt und probiert. Anerkennendes Nicken, verbunden mit der Frage, wie das Wildschwein denn zubereitet worden ist. „Eine Nacht in Marinade eingelegt, dann vier Stunden geräuchert, anschließend ca. 10 Stunden bei 90° im Ofen gegart“, erkläre ich kurz, um dann ebenfalls – in meinem Fall reichlich – von dem zarten Schwein in Tinas selbstgemachte Kürbissuppe zu schaufeln. Rotkohl (aus dem Nachbardorf) gibt es auch, im Dutch Oven zubereitet. Die Kartoffeln für das Püree kommen vom (konventionellen) Landwirt unseres Vertrauens. Bio kann sein, muss aber nicht, frisch hingegen ist Pflicht und je mehr man selbst erlegt, gepflückt, gesammelt sowie geerntet hat, umso besser. 

Veränderte Essgewohnheiten 

Seit meine Familie und ich vor über zehn Jahren endgültig mitten in den Busch gezogen sind, gingen viele, z.T. schleichende Veränderungen in unserer Küche und in unserem Garten vor sich. Immer mehr wurde das eigene Kochen attraktiver und mit größerer Begeisterung in Angriff genommen. Ausfluss dieser Entwicklung war große Grill-Dreibeine, ein Räucherofen, der o.g. Dutch Oven und zuletzt ein Dörrautomat, um nur einige Attribute zu nennen. Die Küche ziert hier eine Galerie selbst gesammelter und getrockneter Pilze, nebenan baumelt Wildwurst. Im Kühlschrank hat man Mühe, um Wildleberwurst oder Limousin- sowie Rotwildschinken vorbei zugreifen. Letzter „Deal“: Ein Freund hat ca. zwei Jahre lang zwei Schweine gemästet. Diese Gartenfreigänger kamen unlängst zum Schlachter und wir bekamen jede Menge Spezialitäten, z.B. Rotwurst und Sülze – im Tausch gegen Wildbret, wozu gibt es Geburtstage o. ä., wo sowas gerne verschenkt werden kann? Apropos Geschenke: Mittlerweile erfreuen wir uns an Honig von der Imkerin unweit von uns, selbst gemachter Marmelade, Tomaten sowie Knoblauch aus der Region und und und. Wir beschenken uns gegenseitig mit unseren Spezialitäten.

Sicher hat kaum einer wie wir die Chancen, eine „Eier-Flatrate“ von glücklichen Hofhühnern gegen Reh-Nüsschen und Spareribs aufzuziehen oder Muffel- gegen Damwild zu tauschen. Dennoch: Vergleichen wir beide Gerichte, das meiner Mutter und das „Kochevent“ an langer Tafel, liegt, trotz nahezu gleicher Zutaten, ein Quantensprung dazwischen. Haben nur wir uns verändert? 

Ich glaube nein, findet sich doch inzwischen in nahezu jedem Discounter eine (eigene) Bio-Linie, werden wieder Fleisch- und Käsetheken ausgebaut und erledigt eine Supermarkt-Kette nach eigenem Bekunden „die Frische auf dem kurzen Feldweg“. Regionalität wird bevorzugt, Nachhaltigkeit propagiert, Fairness angestrebt – der Markt erlebt(e) einen schleichenden Wandel. Letzter Akt: Handelsketten wie Edeka, Rewe und Aldi führen vier Cent pro verkauftem Kilo Fleisch ab: Das soll eine bessere Haltung der Tiere möglich machen.

Keineswegs ist der Convenience-Boom vorbei, warum auch nicht. Doch immer häufiger fallen neben Attributen wie billig, einfach und schnell Begriffe wie selbstgemacht, Hofladen oder „zertifiziert“ auf. Selbst die große Supermarktkette führt Eier und Kartoffeln aus dem Landkreis, Familien bestellen sich „Ihr“ Rind direkt beim Erzeuger und Verbraucher fahren im Zuge ihrer Wochenendtour zum Erzeuger, um zu sehen, wie und woher die Ware denn kommt. 

Wer will, kann sich heute vielerorts mit bester Ware eindecken – und dies scheinen erfreulicherweise immer mehr Menschen tun zu wollen. Hinzu kommt der (schon länger) andauernde Boom zur Landromantik, wie unzählige aufwändig bebilderte Magazine belegen, die alle das Wort „Land“ o.ä. im Titel führen. 

Mittendrin in verschiedenen, sich teilweise ergänzenden Trends, finden sich unsere Reviere und wir Jägerinnen und Jäger, die, auf dem sich (wenigstens in Teilen) wandelnden Markt, eigentlich einen großen Trumpf in der Hand halten, der vielen der geschilderten Wünschen genügt: Wildbret!

Eigentlich ...


Wildbret auf verlorenem Posten?

Wieder ein Zeitsprung, dieses Mal zurück in die Vergangenheit: Meine erste Drückjagd ist gelaufen, gemeinsam kehrt die Korona zum Essen in den Dorfkrug ein. Umlage 10 Mark, Getränke sind selbst zu zahlen. Es gibt Wildgulaschsuppe vorneweg, danach Grünkohl mit Bregenwurst und Kassler, beides vom Schlachter aus dem Dorf. Gleich mehrere Schützen fragen am Fuße der Jagd, ob sie Wild von der Strecke kaufen dürfen. Die kernige Treiberwehr rekrutiert sich aus den Dörfern der Umgebung. Auch in ihren Reihen gibt es Wildbret-Interessenten. Zudem wird, wie ich mit einem halben Ohr anhören darf, in zwei Fällen Wildschäden mit erlegten Rehen elegant beglichen. Zu guter letzt fragt auch unser Wirt nach, ob er auch Wild bekommen könnte, er hätte ja noch zwei Jubiläen zu bewirten.

Zurück in die heutige Zeit: 55 Kreaturen umfasste die Strecke der letzten Drückjagd, an der ich an teilnehmen durfte. Nach der Bruchübergabe lief alles auseinander. Der Förster war froh, dass einige Helfer übrig blieben, um die Strecke in die Kühlung zu wuppen. „Leider erst Montag“, so verkündete er uns, „kommt der Wildhändler. Der war heute schon bei zwei Drückjagden und hat partout keine Zeit, auch unsere Tiere zu verladen. Daher der Mehraufwand, danke für Eure Hilfe.“ Es wurden schlussendlich 53 zu transportierende Stücke. Zwei Jungjäger baten darum, ihre (es waren die ersten) Wildschweine erwerben zu dürfen. Andere Käufer fanden sich nicht. 

Auf der Rückfahrt machte ich mir noch die Mühe, vor den wenigen verbliebenen Landgasthöfen zu halten, um deren Speisenkarten zu studieren. Nur ein Haus – auch hier auf dem platten Lande – führt überhaupt noch Wild, sage und schreibe ein Gericht. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wo hier bei uns zuletzt beispielsweise Hase auf irgendeiner Speisenkarte stand. 

Diese Punkte führten dazu, dass ich mich weiter umhörte: Begnadete Köchinnen wagen sich nicht an Wild, erfahrene Hauswirtschaftsmeisterinnen haben „das zwar gelernt, aber nicht wieder angewendet“. Wir reden über die Landbevölkerung!

Innerstädtisch traf ich auf manche, zig tausende Euro kostendende Designerküche, in denen alles gemacht wurde, nur nicht gekocht. Gas-Induktion-Kombination, Beefer (gänzlich unbenutzt), Weinschrank, nahezu jeder Sternekoch war vermittels Buch vertreten, japanisches Messerset und nie vorher gehörte Gewürze, alles da – aber mit meinem zarten Rückenlachs vom Reh konnte so recht niemand was anfangen. Oder man trifft auf Freunde, die unlängst Knurrhahn zubereitet haben und aktuell schwanken, ob sie eher Wagu-Rind oder doch besser Mahi-Mahi zelebrieren sollen. Zugegeben, alles auch lecker! Nur „ordinäres“ Reh aus dem Wald um die Ecke haben sie noch nie zubereitet.

Ich fragte Freunde und Bekannte sowohl auf dem Land, als auch in der Stadt nach: Wann und ob die Damen und Herren denn mal Wild gegessen hätten, wollte ich wissen. „Früher, schon länger her, gar nicht, Oma konnte das noch, gab es nie bei uns zu hause“ – die Liste ließe sich verlängern. Und die Gastronomen? „Zu aufwendig, kaum nachgefragt, ...“. 

Vorleben, nein, besser voressen!

Gemeinsam mit Freunden musste ich feststellen: Die Kluft Wildbret – Konsument war viel größer, als angenommen! 

Schritt 1: Alles Wild muss aufbereitet werden. Ohne irgendeinen maßvollen Convenience-Effekt (hört!) geht auch bei Wild nicht. Ausgelöste, parierte Rücken, enthäutete und/oder von Knochen befreite Keulen müssen es in den allermeisten Fällen schon sein. Endprodukte wie die fertige Leber- oder Bratwurst erwiesen sich als unproblematisch. Kleine und kleinste Mengen wurden verschenkt, um überhaupt das Eis zu brechen.

Schritt 2: Erste Kochkurse wurden von unserem Hegering angeboten und gerne angenommen. Hier wurden (wichtig) keine hochkomplizierten Rezepte zubereitet, sondern in einfachen Schritten Wild zubereitet. Zwar mündete dies stets in einem kleinen Menü, doch alle Gänge für sich genommen, waren einfach nachvollziehbar. 
Schritt 3: Statt Rotwein, Blumen & Co. habe ich stets eine kleine Wilddelikatesse als Geschenk dabei. Die Reaktion nach einiger Zeit „Davon hätten meine Familie und ich gerne mehr davon“ ist die Regel und nicht die Ausnahme.

Wenn unser Jägerstammtisch einmal im Monat im Krug zusammensitzt, drehen sich eine Vielzahl der Gespräche ums Essen. Nein, nicht so wie Sie vermuten: Bis auf wenige Ausnahmen kochen hier alle Männer gerne, vornehmlich Wild! Da geht es stundenlang um Tricks beim Räuchern, die selbstgemacht Cumberland-Soße, die Behandlung der erlegten Gänse („nirgendwo gerät sie so gut wie in der holzbefeuerten Küchenhexe“) und jede Menge Rezepte. Da wird mit Wildfond „gedealt“ oder die neue Wildcurrywurst (ja, das geht) oder einer neue Soßenkreation besprochen. Der eine Nimrod versteht sich auf Senfkreationen, wieder ein anderer fertigt Öle und Wildgulasch aus der Heide open air – im (südafrikanisch-burischem) Poikie zubereitet – schmeckt super.

Es kam nicht eben selten vor, dass nach zunächst missmutigen Blicken der Gäste an den anderen Tischen (Jägertreffen, Mörder) nach und nach deren Gespräche verstummten und der Wald-und-Wiesen-Kochtruppe zunehmend wohlwollender zugehört wurde. Selbst die NABU-Ornithologen vom Nachbartisch begriffen schnell, dass wir sie wiederum zügig enttarnt hatten und das unser Rezept „Kranichbrust“ nur ihretwegen thematisiert wurde. Schlussendlich prostete man sich zu …

Doch Szenen wie diese bleiben oft die Ausnahme. In Summa finden sich selbst unter Jägerinnen und Jägern zu wenige, die für Wildbret werben. Nachfragen aus der Bevölkerung – wenn sie denn schon mal kommen – werden abschlägig beschieden oder bleiben unbeantwortet. Viel zu wenige Nimrode engagieren sich hinsichtlich Werbung und Verkauf! Wie wohltuend sind da Initiativen wie die Internetseite/Kampagne „Wild aus der Region“ oder die wenigen Jägerautos mit dem Aufkleber „Bei mir gibt es Wild“. 

Dennoch: Viel zu häufig verhindern wir die Chancen, mit dem Produkt Wildbret zu werben, selber. Wie mutet es da an, wenn am Fuße einer Maisjagd im letzten Sommer zwar neun Schwarzkittel liegen, aber in dem von drei Pächtern (und somit drei Familien) geführten Revier niemand etwas mit dem erlegten Wild anzufangen wusste. Die Strecke wurde auf einen PKW-Anhänger verladen und 60 Kilometer weit zu einem Wildhändler gefahren. Erschütternd ...

Stoffströme, Ökobilanzen und wieder mal die Nachhaltigkeit

Ließe sich da nicht stattdessen ein Bogen zu einem Landschlachter schlagen, um dann – Convenience lässt wieder grüßen – sein eigenes Wildbret bratenfertig oder veredelt zurück zu bekommen? Stichwort Landschlachterei: Neben dem Gasthöfesterben beobachte ich einen stetigen Rückgang jener kleinen Metzgereien, Bäckereien usw., die sich früher (schon wieder ein Zeitsprung) noch in Dörfern und kleinen Städte fanden. Wäre es nicht somit eine gute Idee, eben jene kleineren Geschäfte mit eigenen Aufträgen zu bedienen?

Meine Familie und ich haben in den letzten Jahren in unserem näheren Umfeld zwei Schlachter aufgetan, die unser Rot-, Dam-, Schwarz- und Rehwild weiter verarbeiten. Vieles machen wir selbst, weitere Dinge möchte ich noch von den beiden lernen – und sie lassen das dankenswerter weise zu. Durch unsere bescheidenen Aufträge und weitere aus unserem Jägerkreis haben diese Kleinunternehmen weiteres kleines Standbein. Sie sind mittlerweile dazu übergegangen, wieder Wild (Wurstspezialitäten, Leberkäse, Frikadellen, Filets) feilzubieten – und vermelden erste zarte Aufschwünge auf diesem auch von ihnen über Jahre vernachlässigten Sektor. 
Politikum“ Wildbret

Doch das sind alles kleine Schritte. Und im Großen? Qualitativ hochwertiges Wildbret wird eine der maßgeblichen Säulen sein, über die Jagd sich zukünftig legitimieren kann. Hier mag so mancher (um mal im Sprachbild zu bleiben) sauer aufstoßen, wenn von Legitimation die Rede ist. Doch bedarf es nach diversen Gesetzesinitiativen noch eines Beweises, dass jagdliches Tun permanent nicht nur im Fokus der Öffentlichkeit, sondern auch im Fokus der Politik steht? 

Es ist erstaunlicherweise häufig jagdfeindliches Klientel, dass die oben zitierte Forderungen und Schlagworte benutzt: Was ist denn nachhaltiger, als das Rehwild „aus deutschen Landen“? Was hat denn eine bessere Ökobilanz, als der „Hirsch von nebenan“? Das Öko-Rind aus Übersee oder die Fair-Trade-Banane sicher nicht. Wir können uns gerne über die Menge des Fleischkonsums unterhalten, aber nicht über die Vorzüge heimischen Wildes – und dies in vielerlei Hinsicht.

Mein Fazit: Ich empfinde heute eine große Zufriedenheit, „mein“ Wild selber zu erlegen, zuzubereiten und zu essen ... Ja, es wurde zur ERSTEN Begründung für unsere Familie, in der jedes Mitglied einen Jagdschein hat, zur Jagd zu gehen. Wir haben nahezu Selbstversorger-Status erreicht, völlig ohne Biohysterie oder irgendeinen Ernährungswahn. 

An dieser Stelle, einer unserer Gäste an der Tafel hatte gerade bemerkt, dass es keinerlei negative Wasserbilanz für Damwild gäbe und zudem keinen Düngereinsatz für Stockenten, wirft Tina kurz wieder auf! Mittlerweile hatte sie, unbewusst, das dritte Gäbelchen Pulled Pork in Ihre Kürbis-Suppe gelöffelt...


Wie wohltuend, wenn sich noch ein Landgasthof findet, der Wild so offensiv thematisiert
und wunderbare Variationen seit über 10 Jahren (!) im Rahmen so genannter "Wilder Wochen" anbietet. Foto: Plakat meines regionalen Lieblingsrestaurants, den "Trebeler Bauernstuben", www.trebeler-bauernstuben.de


Wildbret- und Jagd-Werbeveranstaltung "Wild & Wein" in Gartow.
Siehe dazu auch www.hegering-gartow.de. Foto: R. Groß



Häufig sitzen wir an langer Tafel – und oft drehen sich dabei die Gespräche ums Wildbret und entsprechende Rezepte. Hier mit am Tisch: Die jungen (!) Inhaber der Hamburger Wildbret-/Burger-Schmiede EDELSATT (www.edelsatt.de), die nicht nur ganz in meinem Sinne arbeiten, sondern genau das in die Tat umsetzen, was dieser Artikel einfordert.